Island und die Entwicklung im Tourismus

Refresh 7.10.2016 / 5.6.2017
Ausser der Fischerei als wichtigste Einnahmequelle hat der Fremdenverkehr in den Jahren seit der Finanzkrise an Bedeutung für die leeren Staatskassen von Island zugenommen. Der Tourismus wurde in den letzten Jahren vom Staat derart gefördert, dass die magische Zahl von mehr als 1 Mio Touristen pro Jahr bereits geknackt wurde. Der Staat hat vor allem die Werbung in der ganzen Welt stark gepusht. Zudem ist Island durch die Entwertung der Krone eine „zahlbare Destination“ geworden, was den Boom zusätzlich anheizte.

Investiert wurde vor allem in die Werbung und die Angebote von Reiseprodukten. Zudem wurde viel in den Ausbau und Neubau von Hotels investiert. Wenn man heute durch Reykjavik geht erstaunen einem die zahlreichen neuen Hotels und Guesthouses. Auch im Land gibt es viele neue Unterkunftsmöglichkeiten als noch vor einigen Jahren, zudem hat man das Gefühl jeder Bauernhof hätte in „Farm Holidays“ investiert.
Auf der anderen Seite hat man kaum etwas in die Infrastruktur bei den vielen Sehenswürdigkeit investiert. Viele Einheimische, aber auch solche die regelmässig Island besuchen, stehen fassungslos der langsamen Zerstörung dieser Natur-Sehenswürdigkeiten durch die Touristenströme gegenüber. Und wo dann noch etwas Infrastruktur wäre, schaffen es die Isländer, diese am vom 1. September bis zum 31. Mai zu schliessen, ganz gleich ob täglich volle Flieger mit Touristen kommen und die Hotels ausgebucht sind.

Ich bin mir bewusst, dass es kurios ist, wenn sich ein Tourist wie ich über zu viele Touristen beschwert. Zudem komme ich dann noch aus einem Land, dass von sehr vielen Touristen besucht wird – so wird alleine Zermatt mehr Besucher als Island pro Jahr haben. Einem Land also, dass ebenfalls eine grosse Tourismusindustrie hat.
Meine Kritik gilt nicht den Touristen, sondern geht dahin, dass der isländische Staat oder die Tourismusindustrie nichts in die Infrastruktur seiner einmaligen Sehenswürdigkeiten investiert und alles dem Zufall überlässt. Die Sehenswürdigkeiten sehen immer noch so aus, wie ich diese vor 25 Jahren angefunden habe. Parkplätze sind meistens irgendwo vorhanden, dann schlägt man sich irgendwie zur Sehenswürdigkeit durch. WC’s stehen (fast) keine zur Verfügung, dafür hat es genug Wildnis rundherum. Nur dieses rundherum sieht an gewissen Orten derart verschmutzt aus und es stinkt. Visitor Centers – meistens Fehlanzeige! Ranger die aufpassen – einen einzigen habe ich im Laki-Gebiet kennen gelernt, der irgendwie versucht hat die Touristen und Geländewagenfahrer auf dem Pfad zu halten.

Fakt ist, dass die klassischen Touristenzielen in Island (Geysir, Gullfoss, Seljalandsfoss, Skogarfoss, Landmannalaugar) heute derart überrannt werden, dass die Landschaft dadurch stark bedroht ist.
Geplant hat man ab und zu etwas. Nur meistens nie realisiert. Inzwischen ist wenigstens die Treppe inklusive Aussichtsplattform am Skogarfoss realisiert worden, dies aufgrund einer privaten Aktion. Aber bis zur Treppe trampeln die Touristen querfeldein den Hang hoch. Warum man hier nicht auch noch gerade einen schönen, befestigten Weg hoch gezogen hat, bleibt ein Rätsel.

In Geysir diskutierten die Landbesitzer (das Geothermalgebiet befindet sich im Besitz des Staates, das Land drumherum aber nicht) über einen Eintritt für das Gelände. Laut Meinungsumfragen wäre eine überwiegender Anteil der Besucher bereit, Eintritt zu zahlen. Passiert ist bisher nichts, dafür wurde das bestehende Hotel ausgebaut.
Am Landamannalauger (Naturschutzgebiet) – eines der schönsten Täler im isländischen Hochland – schlafen die Touristen in ihren Autos oder noch besser in der veralteten WC-Anlage. Campingplatz und Hütte sind überfüllt. Der warme Fluss ist am Morgen jeweils gesäumt von Bierdosen, die vom abendlichen Gelage der Badenden liegen gelassen wurden und werden vom Hüttenwart mühselig entsorgt. Dieses Gebiet ist derart unter Druck, dass ich es seit Jahren bereits meide. (letzter Besuch in 2011)

Für mich aber am schlimmsten ist die Situation am Myvatn, wo gar nichts mehr zu einander passt. Im Oktober 2015 war ich überrascht wie viele mit „Happy Happy Miet-Camper“ und Sommerreifen im tief verschneiten Gebiet unterwegs waren – die Campingplätze am Myvaten waren geschlossen. Zum Aufwärmen und Waschen diente die WC-Anlage einer kleinen Tankstelle. Dies ist nur ein kleines Beispiel, was ich meine: Der isländische Staat macht Werbung, die Tourismusindustrie bietet solche „Camper“ auch ausserhalb der Saison an – die Campingplätze sind aber geschlossen. So übrigens auch fast alle wenigen Restaurants in diesem Gebiet. Auf dem Land sind die Museen sowieso nur während den Sommermonaten offen. Die Sehenswürdigkeiten sind zwar zugänglich, aber die WC-Anlagen geschlossen.
Gerade im Gebiet des Myvatn ist eine zweite Komponente zu beobachten – der “Abenteuerurlaub”! Diese (vielfach unvorbereiteten) Urlauber unterschätzen die raue Natur und die Wildnis. So ist im letzten Jahr die Zahl der Einsätze der Landsbjörg (des ehrenamtlichen isländischen Rettungsdienstes) für Touristen um das zigfache angestiegen. Wanderer verlieren sich in der Wildnis oder Jeepfahrer bleiben in Flüssen stecken oder werden von Flüssen mitgerissen. Diese Urlauber „offroaden“ mit ihren Geländewagen (was schwer verboten ist) quer durch die Landschaft, bleiben dann irgendwo stecken. Und dann sind noch einige „Rallyfahrer“ unterwegs, die irgendwo auf einer Piste aus der Kurve fliegen und schwer verunfallen. Die freiwilligen Rettungskräfte sind langsam überfordert, es erstaunt mich wie diese trotzdem immer noch die Hilfe über alles stellen.
Auch auf den normalen Strassen sind rund 50% der gebüssten Autofahrer, die mit zu hoher Geschwindigkeit unterwegs sind, Touristen.

Leider hätte ich noch viele, viele solche Beispiele – die meisten davon verursachen ein langsames Sterben der wunderschönen Natur-Sehenswürdigkeiten.
Alle diese Meldungen stehen täglich in den isländischen Tageszeitungen. Zusammen mit den eigenen Erfahrungen erkennen die Isländer langsam, dass der Tourismus weitgehend unreguliert zum Massentourismus hin läuft.
Nun gibt es aber gerade in den letzten Jahren von Umweltverbänden und Politikern doch viel Kritik an der starken Zunahme des Tourismus und seinen Folgen. Aber man hat bisher kein Rezept gefunden, wie man mit den Touristen – die man gefördert hat – umgehen sollte.
Wie lange diese Entwicklung noch gutgehen kann, steht in den Sternen. Hoffnung hatte ich etwas in den isländische Naturpass, der Geld für die Natur-Sehenswürdigkeiten in die Kasse hätte spülen sollte. Bis im Oktober 2015 war dieser aber noch nicht eingeführt und andere Impulse zur Regulierung konnte ich keine erkennen.
In der isländischen Online-Presse merkt man, dass in diesem Thema viel in Bewegung ist. Hoffentlich können die Isländer und Isländerinnen sich noch dazu durchringen, damit die aktuelle Entwicklung eingebremst wird und vor allem lernen, dass man die Touristenströme lenken und moderieren muss. Bevor es zu spät ist und ein Zustand eingetreten ist, der sich nicht mehr rückgängig machen lässt.
Und versteht mich nicht falsch: Island ist und bleibt ein Land, das unglaublich sehenswert ist – immer wieder eine Reise wert. Und eine grosse Verantwortung liegt natürlich auch an uns Touristen, dass wir dieser unglaublichen Natur und Wildnis sowie den Menschen auf Island mit grossem Respekt begegnen.

Nachtrag 11.2.2016
Det Tod eines Touristen im Februar 2016 am Strand von Reynisfjara hat auch mich beschäftigt. Mehr darüber findest Du in meinem Post: Todesfall am Strand von Reynisfjara
Nachtrag 7.10.2016
“Iceland and the Trials of 21st Century Tourism” ist ein interessanter Bericht. Neben sehr vielen Zahlen beschäftigt er sich auch mit den Problemen durch den Tourismus: https://skift.com/iceland-tourism/
Quelle: Skift
Nachtrag 5.1.2017
Der Blogger hakkabuff og karfi – Þetta reddast!, heisst irgendwie übersetzt Frikadelle und Barsch – das wird schon gutgehen!, geht in seinem Post Ísland – den nordischen Touristentraum boykottieren!? vom 14.12.2016 auf dieses Thema ein und zeigt leider, dass seit dem erscheinen meines Posts im letzten Jahr sich wohl nicht viel verändert resp. eher verschlechtert hat. (Blog hakkabuff og karfi – Þetta reddast! hat leider kein Impressum)
Das staatliche Fernsehen RÙV (The Icelandic National Broadcasting Service) hat einen neuen Besucher-Rekord für den November 2016 gemeldet: Im gerade vergangenen November sind 131.700 Touristen nach Island gekommen, 50.000 mehr als im Vorjahresmonat. Einer Zählung der Fremdenverkehrsbehörde am internationalen Flughafen in Keflavík zufolge ist die Touristenzahl im November damit um 61,4 Prozent gestiegen.
Quelle: RUV / IcelandReview
[…] „Diese (vielfach unvorbereiteten) Urlauber unterschätzen die raue Natur […] Wanderer verlieren sich in der Wildnis oder Jeepfahrer bleiben in Flüssen stecken oder werden von Flüssen mitgerissen. Diese Urlauber „offroaden“ mit ihren Geländewagen (was schwer verboten ist) quer durch die Landschaft, bleiben dann irgendwo stecken. Und dann sind noch einige „Rallyfahrer“ unterwegs, die irgendwo auf einer Piste aus der Kurve fliegen […]“ (www.weltwanderlust.com) […]
[…] es ist wirklich sehr gefährlich. Aber dies ist eben genau was ich kritisiere. (siehe mein Post Island und die Entwicklung im Tourismus). Die IsländerInnen sind mit ihrer Natur vertraut und kennen die Gefahren. Aber man karrt Tausende […]