Labyrinth auf der Insel

Zwei Touristinnen schlendern über die kleine Insel Werd, ohne dem Rasenlabyrinth, an welchem sie vorbeigehen, Beachtung zu schenken. So geht es vermutlich den meisten von uns – was sollen wir auch mit einem Labyrinth anfangen?

Auf der kleinen Insel Werd am Ausflusses des Bodensee werde ich aufgrund einer kleinen Tafel auf das Rasenlabyrinth selbst erst aufmerksam. Auf dieser Tafel steht, wenn ich den Weg durch das Labyrinth gehe, dann werde ich die Mitte finden, dort zu Fragen Antworten erhalten und gestärkt in den Alltag zurückkommen.

Also nichts wie los. Die Mitte liegt nur einen Steinwurf von mir entfernt, doch trotte ich brav dem Pfad entlang durch das Labyrinth, konzentriere mich auf den Wegverlauf und vergesse nach und nach die Umwelt. Exakt nach 444m komme ich in der Mitte an. Das Labyrinth ist kein Irrgarten, das Labyrinth besteht aus einem einzigen gewundenen Weg, der ohne Sackgasse und Irrwege stets weiter bis in die Mitte führt. In der Mitte verweile ich kurz, lasse den Moment auf mich wirken. Über den geschwungen Pfad geht es zurück an den Ausgangspunkt. Kaum bin ich retour aus dem Labyrinth, quasi wieder im Alltag, schlägt die kleine Glocke der Kapelle Werd gegenüber 12 Uhr.

12 Uhr? Zufall? Denn dieses Labyrinth besteht aus 12 Kreisen und der Weg bis zur Mitte ist 444 Meter, die Quersumme davon ist 12!

Dass ich genau um 12 Uhr aus dem Labyrinth zurück in den Alltag gefunden habe, ist Zufall. Die 12 Kreise dagegen nicht. Die Franziskaner-Mönche, die hier in einem Konvent auf der Insel Werd leben, haben dieses gotische Labyrinth im Jahre 2006 erstellt. Es ist eine Nachbildung des Labyrinths der Notre-Dame de Chartres – welches so eine Art Referenz der Labyrinthe darstellt. Und daher die 12 Kreise (=12 Apostel, 12 Monate, 12 Sternzeichen, usw.) .

Wer als erster so ein Labyrinth erfunden hat, scheint schwierig zu sagen. Spuren führen nach Kreta und Ägypten, aber auch hoch in den Norden. In Schweden beispielsweise gibt es frühzeitliche Labyrinthe – die Trojaburgen. Einiger dieser Labyrinthe sind bereits 2000 Jahre alt, es kann daher durchaus sein, dass der Ursprung der Labyrinthe in den skandinavischen Länder liegt.

Vom Christentum wurde das Labyrinth früh als Symbol aufgenommen. Bereits in einer der ältesten erhaltenen Kathedralen, der Reparatusbasilika in El Asnam in Algerien (erbaut 324), befindet sich ein Bodenlabyrinth.

Während des 12. bis 16. Jahrhunderts erlebte das Labyrinth in der Kirchenbaukunst eine Blüte. Mittelalterliche Labyrinthe finden sich in vielen Kathedralen, wie in Notre-Dame de Chartres. Der Pfad eines kirchlichen Fussbodenlabyrinths galt als heilige Linie, die mit Bedacht und Konzentration abgeschritten wurde. In Reims ist dieser rituelle Weg mehr als einen Kilometer lang.

Die christliche Mystik unterscheidet zwischen drei Phasen des Labyrinthweges:

  • via purgativa – der Weg zur Mitte –  der Weg der Läuterung, des Loslassens
  • illuminatio – die Mitte –  der Ort der Erleuchtung
  • via activa – der Rückweg –  der Weg in das aktive Leben, zurück in den Alltag.

Das Begehen eines Labyrinths galt im Mittelalter auch als Ersatz für Pilgerfahrten nach Jerusalem oder Santiago de Compostela.

Im 18. Jahrhundert verschwanden die Labyrinthe allmählich ganz aus den den Kirchen. Erst Ende des 20. Jahrhunderts entstanden wie hier auf der Insel Werd wieder neue Labyrinthe.

“Nimm einen Gedanken, ein Gebet oder einfach Nichts mit auf den Weg und lass dich überraschen was geschieht. Aus Respekt vor diesem gesegneten Platz, gehe bitte nur ins Labyrinth, wenn du es gesammelt und in Ruhe betreten willst. … Am besten gehst du ohne Schuhe.”

Franziskaner, St. Otmar im Werd

Quellen: Wiki, https://www.franciscan.ch/, https://www.labyrinth-international.org/labyrinth-eschenz-insel-werd-sh.html, diverse Internet

Michael’s Beers & Beans ist ein Hobby-Blog und nicht kommerziell. Ich bin ein fotografischer Geschichtenerzähler, erzähle was ich auf einer Reise oder sonst irgendwo so aufgeschnappt habe. Dieser Post ist in Ergänzung zu meinen Bildern als Small Talk, Gedankenaustausch und Plauderei zu verstehen, hat daher weder den Anspruch vollständig, noch komplett aktuell zu sein. Alle Informationen sind ohne Gewährleistung auf Vollständigkeit und Richtigkeit. Um sich in ein solches Thema zu vertiefen, empfehle ich unbedingt weitere Quellen zu überprüfen.

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