Postkarte aus Island: Am Ende der Welt?

Das Ende der Welt mag sich für jeden anders anfühlen –  für manchen liegt es bereits im nördlichen Kanton Thurgau, an der Grenze zu Deutschland. Für andere ist das Ende der Welt spätestens da, wo es kein Internet mehr gibt. Ich selber habe das Ende der Welt mal tatsächlich in Island gefunden, als mir im Nirgendwo des Hochlandes ein Keilriemen gerissen ist. Aber dies ist eine andere Geschichte, denn objektiv gesehen führte mich meine diesjährige Reise hier nach Island nicht ans Ende der Welt. Sondern hinein in ein wunderbares und modernes Land mit vielen freundlichen Menschen.

Heute reise ich mit dem Flugzeug ab Zürich in knapp 4 Stunden bequem nach Keflavik, dem internationalen Flughafen auf Island. Und komme in einem modernen, europäischen Land an. Selbstverständlich gibt es überall Handyempfang und Internet. Zudem stehe ich (als Schweizer eine besondere Erfahrung) im teuersten Land Europas. Wäre hier das Ende der Welt würde wohl kaum in Reykjavik eine Einzimmerwohnung 1400 Schweizer Franken kosten, für eine Pizza müsste ich nicht 20 Schweizer Franken bezahlen oder für ein Bier 8 Stutz hinlegen.

Diese hohen Preise sind ein klares Zeichen für die Überwindung der wirtschaftlichen Krise auf Island. Es ist noch nicht so lange her, da standen die Isländer wirklich am Ende, kurz vor der Pleite. Aus dieser Krise haben sich die IsländerInnen befreien können, was mich nicht gross verwundert. Es braucht am Polarkreis Phantasie, Wagemut und Draufgängertum um überhaupt zu bestehen. Auf dieser Insel im kalten Meer auf halbem Weg zwischen Europa und Amerika, wo Vulkane Feuer spucken, Geysire Dampfsäulen in den Himmel schleudern und die Sonne im Winter kaum zu sehen ist, müssen sich die Menschen sowieso zu helfen wissen.

Auf  den Tourismus zu setzen war einer der Säulen um das Land zu retten. Mit Erfolg. Seit einiger Zeit boomt der Tourismus in Island massiv. Daher kommt Island auch immer wieder in die negativen Schlagzeilen, wird als von Touristen überrannte Destination im gleichen Atemzug mit Barcelona oder Venedig genannt.

So schlimm ist es allerdings noch lange nicht. Die Übernachtungszahlen der Schweiz sind rund 6x höher als die von Island. Island ist aber 2.5x so gross wie die ganze Schweiz. Von einem allfälligen Phänomen „Overtourism“ ist nicht ganz Island betroffen. Dies konzentriert sich auf Rekjavik und die umliegenden Sehenswürdigkeiten, welche in den Sommermonaten stark frequentiert sind. Der grosse Zuwachs kommt aber auch daher, das Rekjavik für Städtereisende boomt und die Saison in der Hauptstadt in den Winter ausgeweitet werden konnte. Auch der Nordlicht-Tourismus spült im Winter Besucher in die Hauptstadt.

Draussen im dünn besiedelten Land ist es einmal abgesehen von ein paar „Hotspots“ doch deutlich ruhiger, abseits der Nationalstrasse 1 (Ringstrasse / Þjóðvegur 1) wird man (fast) nur noch den Schafen und Islandpferden begegnen.

Die Entwicklung im isländischen Tourismus sehe ich in vielerlei Hinsicht positiv! Die Tourismusbranche ist stark gewachsen und es wurden viele Arbeitsplätze geschaffen. Das hat dem Land aus der Rezession geholfen. Ausserdem wurde durch den Tourismus die Hauptstadt Reykjavík um einiges lebendiger und farbiger. Und endlich investieren die IsländerInnen in die Infrastrukturen ihrer Natursehenswürdigkeiten, bauen für die Touristen Aussichtsplattformen und anständige Wege, um die empfindliche Natur in diesen Gebieten zu schützen.

Sogar das unerfreuliche Thema «Notdurft» ist man angegangen und stellt sukzessive überall WC’s auf. Endlich gibt es klare Regeln, wie zum Beispiel nicht einfach überall zu campen. Auch Autofahrten im Gelände (Offroad-Fahren) sind nun streng verboten und mit hohen Geldstrafen belegt. In den naturgeschützten Gebieten passen sogar Ranger inzwischen auf, dass die Touristen sich in dieser empfindlichen Natur richtig verhalten.

Zu den negativen Seiten des Tourismusbooms gehört u.a. das Ansteigen der Lebenshaltungskosten in Island. Die Nachfrage nach Dienstleistungen übersteigt das Angebot, damit wird alles teurer. (Auch das Bier…) Und dies bremst den Touristenstrom bereits wieder ein, gerade aus dem preis-sensitiven Deutschland kommen beispielsweise weniger Touristen als in den Vorjahren.

Die Isländerinnen und Isländer hassen übrigens die Touristen nicht. Island wurde vor einigen Jahren sogar einmal zum weltweit gastfreundlichsten Land gewählt. Während auf meinen früheren Reisen die Menschen auf Island eher wortkarg und verschlossen waren, sind heute viele aufgeschlossen. Hier habe ich Island fast nicht mehr gekannt, hier mal ein Schwätzchen, mal dort ein Small Talk.


Eine phantastische Reise durch ein phantastisches Land”

Stefan Erdmann, Reisefilm-Produzent

Island bleibt bei aller Veränderung ein Land des Zaubers, arktisch schroff, aber nicht unwirtlich. Es gibt so viel zu entdecken: Vom grössten Gletscher Europas über Islandpferde, Vulkane, Wasserfälle, Gletscherseen, Lavafelder, Islandschafe, dem Naturschutzgebiet Landmannalaugar mit den farbigen Rhyolith-Bergen bis zum Kap Dyrhólaey mit schwarzem Sandstrand, natürlichen Felsbögen und Papageientauchern.

Ich dagegen suche inzwischen doch etwas die ruhigeren Orte auf und habe mein Island an einem Fjord im Norden der Insel gefunden. Auf den dortigen Ausflügen und Wanderungen komme ich dann manchmal an Orte die unbekannt erscheinen und mir dann das Gefühl geben nicht am Ende, sondern gar nicht auf dieser Welt zu sein.

Mit Worten ist diesem Island nicht wirklich beizukommen. Aber vielleicht kann das eine oder andere Foto hier etwas ausrichten. Davon habe ich wieder reichlich im Gepäck und hoffe Euch bald die eine oder andere Foto-Geschichte hier auf meinem Blog aus Island erzählen zu können. 

Winterliche Grüsse aus Nord-Island
Michael

Akureyri, 26. Oktober 2019

Bilder by Michael’s Beers&Beans Oktober 2019

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