Postkarte aus Arosa: Der Schnee war gestern

Die Berge hier in Arosa stehen noch. Und sogar etwas Schnee hat es im Dorf, denn es hat gestern Nacht geschneit. Nicht viel, aber immerhin. Aber kein Vergleich mit dem Schnee der sich früher hier um diese Zeit noch auftürmte. Wintersportferien – oder Skiferien, wie es bei uns immer noch heisst – sind eines der weissen Symbole, eines der grossen Errungenschaften in der Schweiz. Etwas was zu unserer, zu meiner Kultur gehört. Doch war Schnee gestern? Gibt es morgen überhaupt noch Schnee? Machen Wintersportferien noch Sinn? Meine Postkarte aus Arosa, 1800 müM.
Schnee bis in die Niederungen
“Schnee bis in die Niederungen”, wenn diese Worte aus dem Radio tönte, dann war ich als Kind schon ganz aufgeregt. Der grosse Zauber des ersten Schnees, diese Freude bald mit Skiern auf die Piste zu können. Oft konnte ich es kaum erwarten. Auch wenn ich mittlerweile kein Kind mehr bin, so freue ich mich doch immer noch sehr, wenn die ersten Schneeflocken fallen und die Berge weiss werden. Denn für mich ist das immer noch etwas Besonderes und Magisches.
Ich habe als Jugendlicher mal an einer Umfrage von Arosa Tourismus (hiess damals noch Kurverein) teilgenommen und die Frage beantwortet, ob ich weiterhin Skifahren würde, sollten in Arosa Skikanonen aufgestellt werden. Natürlich nicht – Kunstschnee war für mich keine Option! Und übrigens war ich auch gleich noch der Meinung, dass ich nie einen Helm tragen werde, da gebe ich doch die Skier lieber gleich ab!
Heute fahre ich mit einem Helm über Kunstschneepisten!

Der Schnee stirbt aus!
Der Schnee stirbt aus! Als ich ins Zürcher Oberland gezogen bin, konnte ich von meiner Wohnung bei gutem Wetter in die Berggipfel des Glärnischmassives sehen. Eine der Spitzen ist fast 3000 m hoch, dieser Gipfel wird Vrenelisgärtli genannt. Die Zürcher Oberländer erzählten gerne die Geschichte, dass dort oben eine schöne Frau zu Stein erstarrt und für alle Zeiten von Schnee zugedeckt worden sei. Diese Sage hat heute kaum noch Bestand, denn schon seit über 20 Jahren verliert das Vrenelisgärtli immer wieder einmal im Sommer den ewigen Schnee.
Aber zurück nach Arosa auf 1800 müM, auch hier war man sich über Jahrzehnte des vielen Schnees sicher. Schneesicher.ch – das war hier einmal ein Versprechen!

Die Idiotenhügel gibt es nicht mehr
So steckt eine Sammlung meiner Kindheitserinnerungen im unvergleichlichen Tanz der Schneeflocken. In Erinnerung sind nicht nur die schönen Winterferien in den Bergen geblieben. Sondern auch die “Idiotenhügel”, welche ich in meiner Jugend oftmals besucht habe. Diese waren quasi um die Ecke zu finden und ein perfekter Ort für einen kleinen Ski-Ausflug! Aber diese Lifte gibt es leider nicht mehr, da ihnen das Geld oder der Schnee ausging. Rund ein Fünftel aller Skilifte sind anscheinend in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten verschwunden. Verschwunden ist damit auch ein Stück lokale Winterkultur.
Mir kommen Schlager wie “Alles fährt Schii” oder “Gigi vo Arosa” in den Sinn und vor meinem inneren Auge erscheint die SKA-Mütze, das Rivella- und Ovomaltine-Logo – alles Symbole die Berge, Banken, Schokolade und Schnee irgendwie miteinander verschmelzen lassen. Genauso wie mich der Schnee als normalen Menschen mit den grossen Persönlichkeiten dieser Welt ein klein wenig verbindet, die wie ich in den Bergen ihre Ferien verbracht haben. Manchmal auf den gleichen Pisten. Zufällig bin ich so HRH Kronprinz William auf den Skiern hinterhergefahren, habe mit Danny DeVito an der selben Skibar gesessen und bin mit Didier Cuche auf dem gleichen Sessellift gefahren.

Optimierter Genuss
Für mich gibt es nicht vieles, bei dem Genuss derart optimiert ist wie beim Skifahren. Bergluft und Sonne tanken. Sich bequem mit einer Bahn in die Höhe bringen zu lassen. Mit rasanter Geschwindigkeit über den Schnee runtergleiten. Auf der Terrasse einer Berghütte ein Glas Wein geniessen, sich mit anderen Menschen unterhalten. Das Panorama der Berge.
Ich verbringe auch dieses Jahr wieder eine Woche klassische Skiferien in den Bergen. Dagegen haben in meinem Umfeld viele bereits ihre Skier an den Nagel gehängt oder alles zu einem „Snow-Weekend“ verkürzt. “Snow-Weekend” – wie wenn man einzig den Schnee noch geniessen will, solange es ihn noch gibt. Auch ich frage mich, wie lange werde ich hier oben in Arosa noch Skiferien machen können. Es sind schliesslich sehr teure Ferien und ohne Schnee macht es nicht mehr viel Sinn. Kunstschnee dürfte das Pistenfahren punktuell weiterhin ermöglichen, vor allem in höheren Lagen. Doch Skiferien sind eben auch ein Gefühl aus dem Jetzt und einem Gemisch an Erinnerungen – das verbindende Element ist der Schnee. Werden es in Zukunft noch diese Ferien sein, die ich mit Schnee, mit einer frischen Schneedecke, blauem Himmel und viel Sonne verbinde?
Schnee war immer selbstverständlich
Anstatt auf die Berge zu blicken, die früher in vielen Weisstönen dastanden, blicke ich vielleicht in Zukunft nur noch auf graue Schotterhaufen und braune Hänge, auf denen sich eine seltsame weisse Spur aus Kunstschnee durch den Matsch zieht! Trotzdem, ich werde noch ein bisschen ausharren. Klar, der Schnee zieht sich zurück, jedes Jahr ein kleines Stück mehr. Aber es wird noch vereinzelt Schneetage geben, dann geniesse ich einfach den wunderschöneren Anblick einer verschneiten Berglandschaft noch mehr, lasse mich von seiner Schönheit und Gelassenheit verzaubern. Immer mit dem Gefühl, vielleicht ist es jetzt zum letzten Mal.

Schnee war immer selbstverständlich, inzwischen sehe ich den Schnee mit anderen Augen. Er ist wie ein Teil von mir, wenn er ganz weg ist, wird auch in mir etwas verschwinden.
Liebe Grüsse aus Arosa


Es hat geschneit …
Nach meiner Abreise aus Arosa hat es in den letzten Wintertagen tatsächlich noch einmal so richtig geschneit – in einer Nacht gab es fast 20cm Neuschnee. Damit summiert sich die Neuschnee-Menge für dieses Winterhalbjahr (Nov. – März) in Arosa auf ca. 270cm. “Normal” sind 600 – 700cm, früher sprach man in Arosa erst bei einer aufsummierten Schneemenge von über 800cm von einem richtigen Winter!
(Qulle: https://wetter-arosa.ch)

Hallo Michael,
danke für den leidenschaftlichen Beitrag mit den wunderbaren Fotos. Dass es für DIch und Euch ein großer Verlust ist, nicht mehr so oft und so viel Skifahren zu können, leuchtet ein und ist zu bedauern. Gleichwohl möchte ich fragen, woher denn der Strom und das Wasser für die künstliche Beschneiung kommen soll?
Klimatische Gedanken und viele Grüße
Bernd
Hallo Bernd,
Ganz herzlichen Dank für Dein Kommentar – klar, hier habe ich fokussiert, dass es immer weniger Schnee gibt :-(. Dies ist ja in erster Linie auf die Trockenheit (eines der grossen, zukünftigen Probleme in den Schweizer Alpen), als Folge des Klimawandels zurückzuführen. Und ja, wenn man bedenkt dass die Beschneiungsanlagen in den Schweizer Bergen rund 30% des gesamten Winterstroms in der Schweiz benötigen, kommt man ganz schön ins grübeln. Aber dahinter steckt eben auch ein Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze für die Bergbevölkerung, immerhin geht es direkt und indirekt um einen Fünftel aller Arbeitsplätze in der Schweiz. Auch wenn man in Zukunft den Strom aus Solar und Wasserkraft beziehen wird, muss man sich leider an solche Bilder gewöhnen. LG Michael