Verona: Von Terrasse zum Horizont

Ein Hauch von Paradies umhüllt eine der prächtigsten Ecken Veronas, eine Oase, in der der Anblick der Stadt zu einer sinnlichen Melodie verschmilzt. Hier, im obersten Stockwerk des Hotels Due Torri, auf der Panorama-Terrasse, welche im Frühling seine Tore und sein Herz öffnet, um den Besuchern einen einzigartigen Blick auf die Stadt zu schenken. Von diesem Punkt eröffnen sich mir unzählige neue Perspektiven. Vom Lamberti-Turm über den Dom bis hin zu Castel San Pietro und den Torricelle breitet sich Veronas Anblick vor mir aus, während der glitzernde Fluss Etsch (ital. Adige) mit seinen sanften Kurven als Kulisse dient.

Verona ist eine Stadt mit unzähligen Gesichtern, ein lebendiges Kaleidoskop aus verschiedenen Stilen, Epochen und Herrschern. Dieser faszinierende Charme offenbart sich zu jeder Jahreszeit und lässt mein Herzen höher schlagen. Als wäre ich Romeo, der gleich seiner schönen Julia begegnet. 

Von der erhöhten Position der Dachterrasse  aus bietet sich ein einzigartiges städtisches Panorama. Zwischen den Dächern der Häuser und der Kirche San Giorgio tritt der Fluss Etsch hervor. Genau an der Stelle, an der er sich unterhalb des ältesten römischen Juwels der Stadt verengt. Oberhalb dieser Stelle, auf den „Torricelle“, standen einst die ersten Siedlungen Veronas. Später errichteten die Römer am Hang dieses Hügels das “Teatro Romano di Verona”. Und genau dorthin führt mich heute mein Weg, über die römische Bogenbrücke „Ponte Pietra“ hinauf zu den „Le Torricelle“.

Du hast schon gemerkt, dass ich Dich auf meinen Spaziergang mitnehme – von der Terrasse zum Horizont. Auf eine romantische Route, teilweise etwas abseits von den grossen Touristenattraktionen. Nachdem ich auf der Ponte Pietro den Fluss Etsch überquert habe, gehe ich über einen kleinen, steilen Fussweg weiter hinauf. Die alten Häuser entlang des Weges erstrahlen in leuchtenden Farben, ihre gewölbten Eingänge führen in kleine grüne Oasen aus Olivenbäumen und Oleandern.

Ich erreiche die Piazza von Castel San Pietro. Die Mühe wird belohnt, es ist eine etwas vergessene Ecke, traumhaft liegt noch die morgendliche Ruhe auf dieser Piazza. Für einen kurzen Moment setze ich mich auf eine Bank unter den Zypressen. Vor mir eröffnet sich ein malerischer Panoramablick auf die Stadt. Diese Hügel rund um Castel San Pietro nennen die Veroneser “Le Torricelle”. Der Name bedeutet kleine Türme und kommt von den vier Maximiliantürmen, die zwischen 1837 und 1843 ein Österreicher zur Verteidigung der Stadt errichtete. Doch schon viel früher, unmittelbar nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches, erkannte die barbarische Bevölkerung, die Verona erobert hatte, die strategische Bedeutung dieses Hügels.

Der Legende nach stand hier das Schloss von König Theoderich, auch bekannt aus dem Nibelungenlied als “Dietrich von Bern”. Später, im Jahr 1398, baute Giangaleazzo Visconti das Castel San Pietro. Im Jahr 1801 rissen Napoleons Truppen das Schloss ab und übergaben die Stadt den Österreichern. 1840 bauten die Österreicher auf den Ruinen des Schlosses einen Kasernen-Komplex, welcher heute noch hier steht. Seit der Annexion Venedigs und Veronas durch Italien pflanzten die Veroneser Zypressen, um die Sicht auf die Kasernen von der Stadt aus zu verdecken. Die beeindruckende Grösse und die Geschichte dieses Bauwerks erfüllte die Bewohner der Stadt sowohl mit Furcht als auch mit Ehrfurcht.

Eine Ecke des Aussichtspunktes beherbergt die Seilbahnstation, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut wurde, um Besuchern vom Theater zur Burg zu bringen. Seit kurzem hat diese wieder den Betrieb aufgenommen. Ich dagegen nehme den Fussweg runter und erreiche über Treppen und Terrassen die Überreste des Teatro Romano di Verona.

Verona war eine bedeutende römische Kolonie im ersten Jahrhundert vor Christus. In der damaligen Zeit erbauten diese das Theater am linken Ufer des Flusses Etsch. Der Theaterkomplex erstreckte sich über Terrassen, die sich vom Fluss bis zum Gipfel des Hügels erstreckten. Der Hauptteil des Theaters, die Cavea, bestand aus grossen Stufen, die sich gegen den Hang neigten. Ein Orchester befand sich in der Mitte, wo sich heute die Sitzplätze befinden. Das Theater war ein wichtiger Treffpunkt und Aufführungsort für Schauspiele.

Heute dient das Theater als Aufführungsort für Shows und Konzerte, da werden auch schon mal Stücke von William Shakespeare gespielt. Der Dramatiker hat immerhin die Stadt Verona in drei seiner Werke als Kulisse gewählt. Ihr so eine zusätzliche Aura von historischem und kulturellem Ruhm verliehen.

Gleich neben dem römischen Theater befindet sich das Archäologische Museum von Verona, im ehemaligen Kloster San Girolamo aus dem 15. Jahrhundert. Es beherbergt hauptsächlich römische Fundstücke aus der Region Verona sowie einige Objekte aus fernen Ländern. Das Museum präsentiert Vasen, Mosaiken, Skulpturen, Glasobjekte, sakrale Inschriften und antike Elemente aus dem römischen Theater und der Arena. Es gibt auch einen Garten, der verschiedene Pflanzenarten beherbergt. Der Kreuzgang und die grosse Terrasse bieten einen reizvollen Blick auf den Fluss und die Stadt. 

Von Terrasse zu Terrasse habe ich die etwas andere Schönheit von Verona gesehen. Noch immer bin ich verzaubert von den Orten, den Geschichten, den Legenden und der üppigen Natur – vor allem aber von den alten Steinen, die immer etwas zu erzählen haben. Und das Erstaunlichste ist: Auf diesem Weg durch das alte Herz der Stadt hatte ich immer Blickkontakt zum Ausgangspunkt, von der ich den ersten Blick über die Stadt hatte. Und jetzt zurückkehren darf, zur Terrasse der Zwei Türme!

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