Corona WebLog #3: Ich niste mich ein …

Ab ins Nest! Aber wie niste ich mich ein? Das war so einer der Beschäftigungen in den letzten Tagen. Zuerst musste ich das Homeoffice einrichten. Besser gesagt zwei “Homeoffices”. Wir sind einmal davon ausgegangen, dass alles etwas länger geht, so sind Doppelbildschirm und Drucker inzwischen auch installiert. Und Wohnen? Je mehr man zu Hause ist, umso enger wird es. Also darum muss ich mich noch kümmern, dass mein Leben ein Stück Normalität behält. Klar gibt es im Moment wichtigeres, aber ich sollte auch meine eigenen Situation nicht ausser Betracht lassen.

Am Wochenende mussten wir unsere beiden Mütter überzeugen, nicht mehr aus dem Haus zu gehen. Während sich meine Mutter seit einigen Tagen sehr einsichtig zeigte und sich selber gut organisierte, war die Schwiegermutter, die gegen die 90 geht, dann schon etwas schwieriger. Oder besser gesagt wirklich richt schwierig. Die ganze Familie versuchte ihr klar zu machen, dass der so liebgewordene, täglich Einkauf im nahen Einkaufszentrum nicht mehr geht und sie eigentlich keine Chancen hat, würde sie sich infizieren. Meine Schwiegermutter ist für ihr Alter sehr fit, liest täglich die Zeitung und schaut sich die Tagesschau im Fernsehen an – sie verstand sogar diese Berichte und Bilder, auch die schlimmen Bilder. Aber den Bogen, dass es ihre eigene Welt ist, die aus den Fugen geraten ist, kann sie nicht mehr spannen. Munter verliess sie immer wieder das Haus. Sie habe schliesslich den Krieg auch überlebt. Alle Appelle der Familien haben nichts genützt. Am Sonntag wurde sie doch etwas einsichtig und wir konnten ein paar Dinge regeln. Aber irgendwie habe ich den Verdacht, jetzt geht sie einfach heimlich einkaufen.

Noch vor wenigen Tagen sagten ältere Leute über 70 oft, wenn mich das Corona trifft, dann ist es halt so, ich habe ja ein gutes Leben gelebt. Diese Sichtweise hat mich teilweise erschreckt, viele Ältere schauen nur auf sich und übersehen dabei dass ihr Krankheitsfall womöglich unnötig ein Spitalbett besetzt. Wenn ich diese Seite erklärt habe, hatte ich das Gefühl es wurde wenigstens darüber nachgedacht. Inzwischen verhalten sich die Menschen über 65 in meinem Umfeld sogar sehr vorbildlich, es ist ein riesiger Ruck durch alle gegangen. Vielleicht geht sogar meine Schwiegermutter irgendwann in Deckung. Hoffen wir es!

Natürlich sind dies alles ganz kleine Probleme, wir können uns zurückziehen, Abstand halten und versuchen uns nicht anzustecken. Dramatisch und beängstigend ist immer der Blick in die Spitäler. Und runter nach Italien, wo die Katastrophe kein Ende zu nehmen scheint.

Über dieser Krise schwebt, dass das Ende völlig offen ist. Gerne versuche ich ein Problem vom Ende her zu denken, scheitere aber hier kläglich am Versuch. Denn niemand weiss, wie lange die Einschränkungen dauern und in welchem Zustand ich, wir und mein Land sein werden, wenn die ganze Katastrophe vorbei ist. Und wie wird die Schweiz wieder rauf gefahren? Auch hier kann ich mir nur vorstellen, dass dies ganz langsam gehen könnte. Aber was weiss ich?

Zugegeben für mich sind es bisher Konzerte, Kinobesuche, kurze Ausflüge, stornierte Ferien und gemeinsame Essen, die abgesagt worden sind. Andere leisten da bereits unmenschlichen Einsatz in den Spitälern, einige mussten schon mitansehen wie einer ihrer Angehörigen einsam sterben musste.

Wie einfach ist es für mich dagegen mich auf eine wochenlange Selbstisolation einzulassen. Allerdings kommt es mir wie ein Experiment mit ungewissem Ausgang vor. Und meine Zukunft muss ich jetzt von Tag zu Tag nehmen. Und mich immer neu justieren.

Die Sache hat eigentlich gar nicht richtig begonnen, und wie wir sie alle durchstehen, davon haben ich keine Ahnung. Mit Zusammenhalt und Zuversicht werden wir die Coronakrise überstehen. Aufwachen werden wir allerdings in einer neuen Welt.

Titelbild: Ein stählerner Schiffsrumpf ragt aufrecht aus dem See nahe der
Schiffsanlegestelle Atlnau und ist Teil eines Kunstwerks, dessen Pendant auf Deutscher Seite im gegenüberliegenden Hagnau platziert wurde. Beide Segmente erheben sich sechs Meter in die Höhe und erinnern symbolisch an die letzte Seegfrörne im Jahr 1963.

Bild 2: Muscheln am Bodenseeufer
Bild 3: Deutschland hat die Grenzen zur Schweiz geschlossen, aus Angst vor Hamsterkäufern und infizierten Schweizern. Die deutsche Behörde hat inzwischen glücklicherweise die gestoppten und dringend benötigten Medizinalgüter, Schutzmasken, usw. frei gegeben und erlaubt, dass diese in die Schweiz eingeführt werden dürfen. Es würde mich nicht verwundern, wenn beide Seiten demnächst das Militär an den Grenzen auffahren lassen.
Bild 4: Bise über dem Bodensee

Bilder 23.3./24.3.2020

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